Radlos in Maikammer


Der Himmel war blau und die Luft heiß am Montagabend um circa halb sechs. Mein treuer Begleiter, kürzlich erst generalüberholt, schnurrte vor sich hin. Eine Kurve noch, dann ein paar Hundert Meter geradeaus, und wir würden die schattige Hofeinfahrt erreichen. Der Weg war ein breiter, und ich verlangsamte unser Tempo, angesichts der wohlbekannten, uneinsehbaren 90-Grad-Kurve, man weiß ja nie. Und schon kamen sie, zack, ins Blickfeld und entgegen. Gleichgesinnte quasi, nebeneinander, vielleicht in ein Gespräch vertieft, jedenfalls unaufmerksam. Ich rief noch laut "Vorsicht, Mädel!", erzeugte keine Reaktion, versuchte zeitgleich, auszuweichen, anzuhalten. Vergebens. Rumms, Zusammenstoß, und mein Rad und ich schlitterten über den Asphalt, wo wir dann liegen blieben.

Das Mädchen, vielleicht 12, 13, war nicht gestürzt, stand konsterniert da, der Junge, vielleicht 15, 16, am Unfall indirekt beteiligt, ebenfalls. Zum Glück konnte ich aufstehen, es war eh niemand da, der hätte helfen können, und auch mein Fortbewegungsmittel aufrichten, das schöne, alte Winora-Rennrad, nun ja, es war ein bisschen verbogen, betrachtete kurz den Riss in der Jeans, am Knie natürlich, ein paar Tropfen Blut, auch am Ellenbogen, nicht schlimm. Fragte dann besorgt das blonde Mädchen, ob es ihm gut gehe. Es nickte, deutete auf eine winzige Schürfwunde an seinem Knöchel, der dazugehörige kleine Fuß steckte in einem Flip-Flop. Der dunkelhaarige Junge stand derweil weiter herum, sein Mountainbike zwischen den Beinen, startklar. Halt, wie es denn nun weitergehe, wollte ich wissen, was sie sich vorstellten. Na ja, ist ja nicht wirklich was passiert, wir fahren weiter, war die lapidare Antwort.

Tss. Ich verwies auf die Schäden, zwar geringfügig, aber trotzdem, denn leider hatte auch die Originallackierung meines geliebten Winoras an ein paar Stellen gelitten. Wo die beiden denn wohnten - in Maikammer?, wollte ich wissen, denn das war der Ort des Geschehens. Nein, in Edenkoben, wurde behauptet, und der schlaksige Junge beeilte sich zu sagen, er sei noch keine 16. Ausweise? Nein. Namen? Wurden nicht verraten. Da fiel mein Blick auf das Rad des Mädchens. Es war schwarz, schwer und noch viel älter als meins, aber nicht gut in Schuss, und wirkte nicht eben verkehrstauglich, speziell was die altertümlich anmutende Bremsanlage betraf. Das arme Ding, dachte ich, und bemerkte eine Träne an der Wange des zarten Mädchens, das mir kaum in die Augen sehen konnte. Gern hätte ich seine Eltern angerufen, das Kind braucht ein anderes Rad!, ein verkehrssicheres!, aber die Nummer wurde verweigert. Ich bat die beiden, künftig rechts und hintereinander zu fahren, vor allem in eben dieser Kurve, bevor wir uns dann unverrichteter Dinge trennten, jeder seinen Weg fortsetzte.

Drei Minuten später zuhause angelangt, der Vorderreifen eierte nun ein wenig, und das Rücklicht ging auch nicht mehr, überlegte ich, ein wenig ohnmächtig angesichts gefühlter Hilflosigkeit, was tun, und rief die Polizei an. Seitens des Edenkobener Zuständigen fielen bald die Schlagworte "Anzeige gegen Unbekannt" und "Unfallflucht". Soll ich, muss ich, fragte ich, völlig unerfahren in solchen Dingen weil bis dato unfallfrei. Ich könne ja mal drüber schlafen. Hm. Ich glaube, ich verzichte. Vielleicht bringt das hier mehr: Liebe Eltern, insbesondere des blonden Mädchens in Flip-Flops, kauft euren Kindern gescheite Fahrräder. Meinetwegen gebrauchte. Aber funktionsfähige. Und schärft ihnen die grundsätzlichen Verkehrsregeln ein. Bitte. Danke.

(Der Unfall ereignete sich am 27. Juni 2011, just in der oben abgebildeten Kurve. Die von mir ansonsten bevorzugte Tageszeitung druckte den eingesandten Text bzw. Aufruf meines Wissens nicht ab. Schade.)